Helmut Zeitner – ein Mann der ersten Stunde 

„Es gab nichts Anderes.“ Schicht nach der Schicht quasi. Keinerlei Freizeitmöglichkeiten nach dem Arbeitsende. „Für uns junge Burschen blieb nur der Fußball.“

Das war Ende der 40er-Jahre. Helmut Zeitner (91) kam nach dem Krieg aus Gronau nach Marl. „Arm, ohne großes Ziel, froh darüber, etwas zu essen zu haben“, beschreibt der rüstige Senior seinen Start in der neuen Heimat. „Uns wurde gesagt, dass sich in Marl etwas tut“, erinnert er sich. Was sich tat: Die Chemischen Werke Hüls GmbH bot Arbeit und Unterkunft. Vor allem Flüchtlinge und entlassene Soldaten sahen eine Chance auf einen Neuanfang. 

Helmut Zeitner stellte sich nach einem Tipp eines Bekannten seines Vaters bei den Wirtschaftsbetrieben der CWH vor und wurde Telefonist. „Die Arbeit bestand darin, Kabel umzustöpseln und Schlafgelder der Kollegen einzusammeln, die in einer der Baracken nächtigten. Zehn Reichsmark mussten die pro Monat bezahlen.“ Wenig später qualifizierte er sich als Kaufmännischer Angestellter, der er bis zur Rente im Schatten des heutigen Chemieparks blieb. 

Arbeit war also frühzeitig vorhanden, aber die Langeweile war unerträglich. Bis sich ein paar Männer aus dem Nordlager in der Sumpfdotterbar bei Pils und Korn überlegten, regelmäßig gegen das runde Leder zu treten. Und bald auch gegen andere an: „Wir gingen von Baracke zu Baracke, um Mannschaften zusammenzutrommeln. Später haben wir uns auch auf der Zeche umgeschaut.“ 

Das Interesse ließ Pläne aufkommen, einen Sportverein zu gründen. Am 17. Juli 1948 gab der Kreisverband Recklinghausen des NRW-Fußballverbandes grünes Licht, fünf Tage später riefen 73 Mitglieder im Lesezimmer der Gemeinschaftsunterkunft Süd Eintracht Lippe ins Leben. „Weil wir doch an der Lippe wohnten“, lacht Helmut Zeitner. 

Am 1. Oktober nahm auch der nordrhein-westfälische Verband den Club unter seine Fittiche. „Wir bekamen einen Spielerpass und waren mächtig stolz.“ Am 9. Januar 1949 ging der Club mit einer Gründungsfeier erstmals an die Öffentlichkeit. 

„Wir haben fast jeden Tag gespielt“, berichtet Zeitner. „Und hatten bald sogar einen Trainer. Aber am Anfang wussten wir gar nicht, was der von uns wollte.“ 

Es klappte so gut, dass die Eintracht bald eine dicke Lippe riskierte und sich mit der TSV Marl-Hüls messen wollte: „Wir haben doch tatsächlich gedacht, wir könnten Fußball spielen“, lacht Zeitner. „Aber wir kriegten überhaupt keinen Ball.“ 

Das tat dem Spaß jedoch keinen Abbruch. Der dribbelstarke Rechte Läufer mit der Pferdelunge und seine Kollegen fanden in der zweiten Kreisklasse Ruhm und Ehre, denn als Tabellendritter und den Ausscheidungsspielen folgte der Aufstieg in die Erste. Beschwerlich war`s: Mit dem Fahrrad ging´s auch zu den Auswärtsspielen, Asche gab es nur auf dem Platz am Badeweiher Asche und nach den Spielen lauerte eiskaltes Wasser im Fass. 

„Das machte uns allen nichts“, erinnert sich Helmut Zeitner, der als Mann der ersten Stunde bedauerlicherweise nach drei Jahren aufhören musste, weil sich das Rheuma einwechselte: „Noch zwei Mal ins Fass, und ich wäre nicht mehr hochgekommen“, so die einst „schnelle und trickreiche halbe Portion, die auch mal von Schwergewichten niedergewalzt wurde“ (Zeitner). 

Der Club hatte indes große Fortschritte gemacht. 1951 wandelte die Eintracht nicht nur ihren Namen in „Verein für Rasenspiele 1948 Marl-Hüls e.V.“ (VfR) um, sondern öffnete sich auch für andere Sportarten. Schnell wuchs der Verein mit Hockey, Rudern und Gewichtheben. 

„Die weiteren Erfolge der Fußballer habe ich leider nur noch als Fan miterlebt“, berichtet der Letzte der Mohikaner, der als Zuschauer dem Fußball treu geblieben ist. Den heutigen VfB, die TSV und den FC Schalke hat er regelmäßig vor Ort angefeuert. 

Seit ein paar Jahren geht´s zum Fußballgucken jedoch ausschließlich in den Sessel. Natürlich hat Helmut Zeitner auch die Weltmeisterschaftspleite der deutschen Elf am Bildschirm erlebt. „Da hat keiner mehr was auf eigene Faust probiert, da war kein Leben inne Bude, das war einfach nix“, urteilt der 91-Jährige, der am 3. August Ehrengast sein wird, wenn der heutige VfB 48/64 Hüls seinen 70. Geburtstag im kleinen Kreis feiert.